Freihandel in Zentralamerika und was das mit meinem Freiwilligendienst zu tun hat


Heute möchte ich euch über Freihandelsabkommen und ihre Auswirkung in Costa Rica informieren. Wer meine Rundbriefe erhält und ließt, der kennt diesen Eintrag schon. Dies ist jedoch keine wisenschaftliche Arbeit, sondern nur eine kleine Recherche von mir vermischt mit meinen Erfahrungen, die ich in Costa Rica machen konnte.
Beginnen will ich mit einer Stelle aus der Satiresendung „Die Anstalt“ vom 27. Februar 2018, in der Anny Hartmann David Ricardos Ansicht des Freihandels erklärt. David Ricardo war ein britischer Wirtschaftswissenschaftler und ein führender Vertreter der klassischen Nationalökonomie, dessen Aussagen heute noch zur Bestärkung des freien Handels verwendet werden.
„Freihandel bringt nur solange mehr Wohlstand für alle, solange Kapital unbeweglich ist.“
Beispiel: England hat Webstühle und damit Tuch, Portugal hat Wein. England hat kein Wein und Portugal kein Tuch. Wenn beide Handel betreiben, profitieren auch beide. So hat England auch Wein und Portugal auch Tuch. Das bringt aber nur mehr Wohlstand für alle, solange Kapital unbeweglich ist. Also solange England Portugal die Weinberge nicht abkaufen kann. Denn sonst landen alle Gewinne in England und Portugal verliert.
Das heißt, Freihandel bringt allen Wohlstand, solange ein anderes Land einem Land die Ressourcen nicht abkaufen kann.
Das ist aber genau das, was heute überall passiert und Freihandel bringt nicht Wohlstand für alle.

Dass Freihandel heutzutage keinen Wohlstand für alle bringt, kann man in Costa Rica gut sehen.
Zuerst werde ich die Geschichte der Freihandelsabkommen in Zentralamerika erzählen, wobei es hauptsächlich um zwei verschiedene Abkommen geht: eins mit den USA und eins mit Europa.
Seit den 80er Jahren gibt es in Zentralamerika einen wirtschaftlichen Transformationsprozess, der zu einer liberaleren Wirtschaftspolitik hinführt. Vorher –seit den 1930er Jahren- gab es ein Modell, welches auf den Export traditioneller landwirtschaftlicher Produkte ausgelegt war. Das waren zuerst vorwiegend Kaffee und Bananen, nach und nach kamen aber auch Baumwolle, Zucker und Rindfleisch dazu. 1960 wurde der CACM (Central American Common Market) gegründet. Dies war ein wirtschaftlicher Zusammenschluss von Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua. Dabei wurde vor allem zwischen den Staaten auf Zollabbau Wert gelegt, um einen zentralamerikanischen Markt aufzubauen und gleichzeitig wurde dieser Markt durch hohe Zollschranken nach außen geschützt. Der Markt war jedoch abhängig von den Exportmärkten für landwirtschaftliche Produkte, welche sehr instabil sind. So kam es in den 70ern und 80ern zu einer starken Inflation und Verteuerung der Importe und einer darauffolgenden Schuldenkrise. Durch die Verschärfung sozialer Konflikte und teils blutigen und langen Bürgerkriegen folgte der Zusammenbruch des Wirtschaftssystems. Das gab Raum für eine neue neoliberale Politik. Wegen der Verschuldung bekamen die Staaten auch Kredite vom Internationalen Währungsfonds, welche jedoch an Strukturanpassungen gekoppelt waren. So mussten Handelsliberalisierungen und Privatisierungen von Staatsbetrieben durchgeführt werden. Zudem wurden die Steuern für Unternehmen und die Staatausgaben gesenkt. Außerdem wurde vermehrt in Energie, Bergbau und Biomasse investiert.
Durch ein Abkommen der Caribbean Basin Initiative öffneten die Vereinigten Staaten von Amerika ihren Markt für die Produkte aus Zentralamerika. Dadurch wurde der Export von Textilien in die USA möglich. Ein weiteres neues Exportprodukt waren Elektronikartikel. So wurde Zentralamerika in die globale Produktions- und Absatzkette transnationaler Unternehmen eingespannt.
Außerdem wurde die Landwirtschaft umstrukturiert und auf die Wünsche der Exportmärkte angepasst. Verstärkt werden nun Saisonfrüchte, Gemüse, Schnittblumen und Zierpflanzen angebaut. Ebenfalls Grundprodukte wie Zucker, Soja und Palmöl wurden vermehrt produziert.
2004 trat das Freihandelsabkommen CAFCA (Central America Free Trade Agreement) zwischen den USA, der Dominikanischen Republik, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua. Costa Rica war das einzige Land, das seine Bevölkerung in einem Referendum über den Beitritt entscheiden lies. Der damalige Präsident Oscar Arias hoffte, durch die Abstimmung den zunehmenden Widerstand zu überwinden. Doch meiner Meinung nach konnte die Bevölkerung keine durchdachte Entscheidung treffen, da während der Verhandlungen die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde und die Vertragstexte als Staatsgeheimnis erklärt wurden. Dennoch trat 2007 das Land bei. Vorbild für das Abkommen ist das Freihandelsabkommen NAFTA (North American Free Trade Agreement) zwischen den USA, Mexiko und Kanada.
Seit 2013 existiert auch ein Assoziierungsabkommen zwischen Zentralamerika und der Europäischen Union (AdA).
Hoffnungen waren, dass durch die Abkommen staatliche Monopole fallen, Investitionen ins Land kommen und Arbeitsplätze geschaffen werden. Das sollte zu einer nachhaltigen Entwicklung durch Wirtschaftswachstum, Armutsreduzierung, Umweltschutz und den Schutz von Arbeitsrechten führen. Außerdem hofften die Befürworter auch, dass mit dem Abkommen auch eine transparentere Politik und mehr Demokratie aufkommen würden.
Die Ziele von CAFTA sind der beidseitige vollständige Abbau von Zöllen, die Liberalisierung vom Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, der Schutz geistigen Eigentums und ausländischen Investoren Zugang zu lokalen Märkten und Ressourcen zu ermöglichen. (Allein die Liberalisierung des Kapitalverkehrs, als auch der Zugang zu lokalen Ressourcen spricht meiner Meinung nach gegen David Ricardos Ansicht über den Freihandel.)
Beim AdA, dem Abkommen mit der EU, gibt es neben dem größeren Wirtschaftsteil, auch einen Teil, der auf den politischen Dialog und Entwicklungszusammenarbeit ausgelegt ist. Dabei geht es um Abrüstung, Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus, Umwelt und gute Regierungsführung.
Den Hoffnungen standen auch die Ängste und Kritik der Abkommensgegner entgegen.
Durch die beiden Abkommen und die Privatisierungen auf Grund der Strukturanpassungen durch die Kredite vom Internationalen Währungsfonds mussten auch Bereiche wie Internet, Mobilfunk und private Netzwerke für private Unternehmen geöffnet werden. Im Jahr 2000 sind diese Privatisierungen am massiven Widerstand der costa-ricanischen Bevölkerung gescheitert. In Costa Rica konnte die staatliche Einrichtung Instituto Costarrisence de Electricidad (ICE) durch die Gewinne in diesen Feldern 90 Prozent der Haushalte und den Anschluss fast aller Gemeinden ans Telefonnetz finanzieren. Eine Privatisierung und ein folgender Einstieg von US-amerikanischen Unternehmen in Costa Rica könnte wie in den Nachbarländern zu einem starken Anstieg der Preise führen, wie in Nicaragua, Panama und El Salvador um jeweils 400, 500, und 1300 Prozent.
Von Kritikern heißt es auch oft, das Land sei noch nicht gewappnet und werde von Waren aus der USA überschwemmt und Arbeitsplätze würden verloren gehen.
Ängste gab es auch vor allem im Sektor der Landwirtschaft, da ein starker Wettbewerbsnachteil gegenüber der subventionierten US-Agrarwirtschaft erwartet wird und Kleinbauern sich dadurch in ihrer Existenz bedroht sehen. In den Verhandlungen wurden zu diesem Thema Übergangszeiten zum Zollabbau für sensible Produkte wie Fleisch, Reis und Milchprodukte vorgesehen.
Auch in der USA gab es Kritik gegen das Abkommen: Man fürchtete hauptsächlich eine Verlagerung der Arbeitsplätze in die Billiglohnländer.
Angst hatte man in Mittelamerika auch vor steigenden Gesundheitskosten durch die Einschränkung von Herstellung und Vertrieb generischer Medikamente (wirkstoffgleiche Kopie eines „Marken“-Medikaments) und eine weitreichende Patentierung der Artenvielfalt durch US-Pharmakonzerne.
Zum Thema Arbeitsrechte kritisierte man eine fehlende Verpflichtung, fehlende Kontrollen und einen fehlenden Zeitplan für die Umsetzung. So griff man den mangelnden politischen Willen an, Arbeitsrechtsbestimmungen wie die Bildung von Gewerkschaften und Kündigungsschutz einzuführen.
Doch was für Auswirkungen hatten die Abkommen nun wirklich?
Die neue Ausrichtung der Landwirtschaft verlangt mehr Technologie und Effektivität. Das bedeutet, dass vermehrt chemische Düngemittel und Pestizide eingesetzt werden. Auch Obst und Gemüse, das hier im Land verkauft wird, wird stark gespritzt und uns Freiwilligen wurde angeraten, alles was geht, zu schälen und wenn nicht gut zu waschen. Neben der Kirche ist zwar ein Bio-Markt, doch die Auswahl ist dort so klein und die Preise relativ hoch, dass es für uns nicht rentabel ist.
Die intensivere Nutzung des Lands erhöht auch den Druck auf den letzten verbleibenden Regenwald. Costa Rica hat im Vergleich zu anderen Ländern zum Schutz der Natur viele Nationalparks (25% der Landesfläche) geschaffen und hat als Ziel, 30% des Landes zu schützen. Der Druck wächst auch für die Kleinbauern und -bäuerinnen, da die großen Plantagen durch die nichttraditionellen Produkte begünstigt werden und zunehmend auch billigere Grundnahrungsmittel aus den USA importiert werden. So sehen sich die Bauern und Bäuerinnen gezwungen, ihr Land zu verkaufen und als LohnarbeiterInnen auf dem Land oder in Fabriken zu arbeiten, wo die die Löhne nicht existenzsichernd und die Arbeitsbedingungen prekär sind.
Auf Grund der schlechter werdenden Lebensumstände einiger Bevölkerungsschichten verlassen immer mehr Menschen ihr Land, mit der Hoffnung in anderen Ländern ein besseres Leben zu haben. Viele gehen in die USA, doch auch Costa Rica ist ein beliebtes Ziel, da es wirtschaftlich besser als andere mittelamerikanische Länder aufgestellt ist und für die Flüchtenden wegen der Nähe zur Heimat, der gleichen Sprache und der ähnlichen Kultur sehr attraktiv ist. In meiner Arbeit hier habe ich hautsächlich mit dieser Bevölkerungsgruppe in erster, zweiter und dritter Generation zu tun. In La Carpio leben 49% NicaraguanerInnen, deren Kinder bei uns in den Kindergarten gehen und die Frauen Teil der Frauengruppe sind. Ich kann nicht beurteilen, wie die Lebenssituation vorher war, jedoch ist sie in La Carpio noch lang nicht gut. Die meisten Häuser sind illegal, werden aber vom Staat akzeptiert. Die Gewalt, der Drogenkonsum und die Armut sind hoch. Die meisten MigrantInnen arbeiten auf Plantagen oder am Bau, wo schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen vorherrschen. Über die Situation in La Carpio habe ich ja auch schon in meinem zweiten Rundbrief berichtet. Wir als Kirche setzen uns auch für die Rechte der Arbeiter ein, was ich am Ende noch erzählen werde.
Die oben genannten Strukturanpassungen führten wie befürchtet zu Massenentlassungen und Verschlechterungen im Bereich Gesundheit und Bildung. Eine positive Auswirkung ist das Wirtschaftswachstum zwischen 2 und 7 Prozent. Meiner Meinung nach ist jedoch ein starkes Wirtschaftswachstum weniger von Bedeutung, wenn soziale Konflikte sich verschärfen, die Gesellschaft sich in Arm und Reich spaltet und die Natur zerstört wird. AktivistInnen, die sich gegen die Entwicklung aufbegehrten, wurden in vielen Fällen ermordet.
Auch die Staaten stehen den Entwicklungen oft hilflos gegenüber, da in den Abkommen Mechanismen festgehalten sind, die es Unternehmen ermöglichen Staaten zu verklagen und zu sanktionieren, falls ihre Rechte als Investoren eingeschränkt werden. Diese wurden des Öfteren verwendet, um nationale Gerichtsentscheidungen, Umwelt- und Gesundheitsbestimmungen unter Berufung auf angebliche Verstöße gegen den Freihandel zu untergraben. Das heißt, dass die Wirtschaft derzeit mehr Macht als Staaten und ihre Politik hat.
Auf Initiative von Ecuador und Südafrika wird im UN-Menschenrechtsrat an einem verbindlichen Abkommen gearbeitet, welches transnationale Unternehmen verpflichtet, nicht gegen die Menschenrechte zu verstoßen. Das würde Staaten die Möglichkeit geben in einem solchen Fall Unternehmen zu verklagen, was bedeutet, dass Staaten im Vergleich zur Wirtschaft wieder mehr Macht bekommen. Deutschland unter Anderen stellt sich jedoch bisher gegen ein solches Abkommen.
Doch was hat das jetzt eigentlich mit meinem Freiwilligendienst zu tun?
Zum einen ist es ein entwicklungspolitischer Freiwilligendienst und dieses Jahr auch dazu da, sich über solche weltweiten Konflikte zu informieren und auch die andere Seite (Industriestaat – Schwellen-/Entwicklungsland) zu erleben. Zum anderen arbeite ich in Costa Rica -wie oben schon erwähnt- mit den Personen, die in so einem System benachteiligt sind. Die Kirche arbeitet jedoch nicht nur mit den Personen, sondern setzt sich auch aktiv für ihre Rechte ein.
Wir Freiwillige mit dem Banner der Kirche
Demonstration vor dem Außenministerium
Am 12. April waren wir auf einer Demonstration, gegen ein Gesetz, dass das Leben vieler illegaler MigrantInnen hier um einiges verschlechtern würde. Es besagt, dass einE MigrantIn für jeden Monat ohne Aufenthaltserlaubnis 100 Dollar zahlen muss. Wenn er oder sie das nicht kann, darf er oder sie für das dreifache der Zeit Costa Rica nicht mehr betreten. 100 Dollar klingen jetzt vielleicht erst mal nicht viel, aber die MigrantInnen verdienen sehr schlecht und manche sind schon sehr lange in Costa Rica. Ich geb hier mal ein Beispiel: Ein Mann aus Nicaragua kam vor 10 Jahren nach Costa Rica. Die ersten drei Monate war er legal mit Touristenvisum im Land. Illegal war er folglich 117 Monate. Das bedeutet, er müsste nun 11 700 Dollar zahlen. In Costa Rica gibt es zwar einen Mindestlohn von ca. 500 Dollar im Monat, was jedoch zum einen für illegale ArbeiterInnen nicht gilt und von dem zum anderen diese „Gebühr“ nicht bezahlt werden kann.
Schon jetzt, werden in La Carpio Passkontrollen durchgeführt, um illegale Personen, die jedoch wohlgemerkt teils schon seit vielen Jahren hier wohnen, des Landes verweisen zu können oder aber Geld für den Staat zu kassieren. Dagegen sind wir auf die Straße gegangen und haben vor dem Außenministerium, der „gesetzgebenden Versammlung“ und dem Arbeitsplatz des Präsidenten demonstriert.
Auch am Tag der Arbeit, dem 1. Mai, waren wir Teil der Demonstration für bessere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung und weniger Diskrimination am Arbeitsmarkt.
Wir Freiwilligen mit einem Pfarrer und
einem Indigenen vor der Demonstration
Der 1. Mai hat schon eine sehr lange Geschichte: 1856 demonstrierten Arbeiter in Australien für den Achtstundentag. 30 Jahre später forderte auch die nordamerikanische Arbeiterbewegung am 1. Mai den Achtstundentag. 1889 wurde daraufhin auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationale der 1. Mai als „Kampftag der Arbeiterbewegung“ ausgerufen. 1890 wurde der Tag dann zum ersten Mal weltweit mit Demonstrationen und Protesten gefeiert.
Auch hier in Costa Rica findet jedes Jahr am 1. Mai eine große Demonstration statt. Das Hauptanliegen der lutherischen Kirche war dabei weniger Diskriminierung und Ausbeutung der Indigenen im Arbeitsmarkt. Illegale MigrantInnen haben das Problem, dass die Rechte, die es in Costa Rica gibt, auf Grund des fehlenden Aufenthaltsstatus für sie nicht gelten. Für Indigene jedoch sollten diese Rechte jedoch eigentlich gelten und durchgesetzt werden. Dennoch arbeiten die meisten Indigenen auf Plantagen, auf denen schlechte Bezahlung, fehlende Schutzkleidung und lange Arbeitszeiten Alltag sind. Die Ngöbe-Buglé haben ihr Gebiet hauptsächlich in Panama. In Costa Rica arbeiten sie am Rande der panamaischen Grenze auf riesigen Bananenplantagen unter den obengenannten Umständen. Für den 1. Mai sind sie extra nach San José gereist, um mit der Kirche für ihre Rechte zu demonstrieren.

Die Ngöbe-Buglé tanzen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen

Verein Indigener für die Durchsetzung ihrer Rechte
Nein zur Diskriminierung und nein zur Verletzung unserer Rechte

Ich hoffe, der Bericht hat euch gefallen und eventuell auch eine neue Sichtweise gezeigt. Abschließend noch ein Zitat von Henry Ward Beecher, einem US-amerikanischen Geistlichen:
Der Welthandel wird von den Starken betrieben
und er arbeitet gewöhnlich gegen die Schwachen.

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